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Geschichtliches

Zum Stolz einer mittelalterlichen Stadt gehörte es, wehrhaft zu sein, sich selbst verteidigen zu können. Auch in Pößneck war eine größere Gruppe von Bürgern mindestens seit dem frühen 15. Jahrhundert bewaffnet. Schon 1426 standen 156 Männer unter Waffen. 1448 besaßen 120 Bürger eine Armbrust, 38 eine Büchse, also eine Feuerwaffe. Eine ständige Übung im Umgang mit den Schusswaffen war die Voraussetzung für ihren erfolgreichen Einsatz. Und so ist es nicht verwunderlich, daß sich die Schützen zusammenschlossen, um gemeinsam das Schießen zu üben. Mindestens seit 1471 gab es in Pößneck eine Schießgesellschaft oder Schützen-Kompanie. In diesem Jahr wurde zum Wohlgefallen des Herzogs Wilhelm von Sachsen in Weißenfels ein Wettschießen veranstaltet. Dazu waren auch 4 Schießgesellen aus Pößneck eingeladen. Offensichtlich war die Pößnecker Schützenvereinigung zu dieser Zeit schon recht bekannt. Damals wurde mit der Armbrust geschossen und zwar auf eine Entfernung von etwa 90 m.

Im Jahre 1478 waren mehrere Pößnecker Schützen auf den Schützenhof in Lobeda geladen, um sich gemeinsam mit dem Landesherren im Schießen zu messen. Auch zu den Schützenhöfen in Mühlhausen und Weimar gab es Einladungen.

Bereits damals waren sich die Stadtväter darüber im klaren, welchen Nutzen eine gut organisierte Schützen-Kompanie der Stadt bringen konnte. Es war nicht nur der Einsatz der Schützen zur Verteidigung der Stadt. Solche Situationen hat es in Pößneck nur selten gegeben. Eine größere Rolle spielte die Sicherheit gegen Räuber und Wegelagerer. Aber es ging auch um die Ehre, die die Schützen ihrer Heimatstadt erbrachten, wenn sie bei den Schießwettbewerben gut abschnitten.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Stadt das Schützenwesen fleißig förderte und unterstützte. Oft übernahm sie die Kosten, wenn die Schützen unterwegs waren. Sie stellte auch den Schießplatz zur Verfügung.

Geschossen wurde im Oberen Graben. Er hatte ursprünglich eine Tiefe von über 2 m und bot somit eine gewisse Sicherheit. Das war wichtig, denn seit dem späten 16. Jahrhundert wurde nur noch mit Feuerwaffen geschossen. Dort stand auch ein kleineres Haus, das Schieß- oder Schützenhaus, zur Verfügung. Es wird bereits 1472 erwähnt.

Nach dem 30 jährigen Krieg versiegte in Pößneck das Interesse am Scheiben-schiessen allmählich. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es mehrere Versuche, die alte Schützenvereinigung wieder ins Leben zu rufen. Auch der Landesherr hatte ein Interesse daran, daß sich die Bürger in der Handhabung der Büchsen übten. Doch alle Versuche scheiterten.

Im Jahre 1792 fasste ein intelligenter und vorausschauender Bürger unserer Stadt, der Uhrmacher Christoph Heinrich Kirchner, den Entschluss, einen Schützenverein ins Leben zu rufen. Das Interesse der Bürgerschaft war groß. Bereits im Februar dieses Jahres fanden sich 31 tatkräftige Männer zusammen, darunter der Arzt Dr. Hergt, der Löwenhirt Müller und andere Persönlichkeiten aus Handwerk und Gewerbe, um Vorbereitungen zur Gründung einer Schützengesellschaft zu treffen. In einem Schreiben vom 29.03.1792 wandte man sich an den Landesherren und an den Rat der Stadt Pößneck, um die entsprechende Erlaubnis einzuholen.

Die landesherrliche Genehmigung zur Gründung einer Schützen-Kompanie und zur Abhaltung von Scheibenschießen wurde von Herzog Ernst Friedrich am 2. Juni 1792 in Saalfeld erteilt. In dem Bewilligungsschreiben wurde den Schützen vom Herzog ein „Forum privilegatum" zugesprochen. Das heißt, die Angelegenheiten der Schützenvereinigung waren sowohl von der Verwaltung als auch vor Gericht bevorzugt und wohlwollend zu behandeln. Aus diesem Grunde nannte sich die Schützen-Kompanie später „Privilegierte Schützengesellschaft". 

 

 

Bewilligungsschreiben vom 2.Juni 1792

"Von Gottes Gnaden Ernst Friedrich, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und Westphalen" erteilt den Pößnecker Schützen die Erlaubnis zur Gründung einer Schützenkompanie und zur Abhaltung von Scheibenschießen. Er spricht ihnen das "Forum privilegatum" zu. 

 

Die Stadt stellte das Gemeindefeld um den Veitsberg, den Ruinenhügel der ehemaligen Veitskirche, als Schießplatz zur Verfügung (später Schützenplatz).

 

Sofort wurde ein Direktorium gewählt. An dessen Spitze stand als Schützen-hauptmann der Stadtsyndikus Hofrat Albrecht Wilhelm Ernst Conta, der spätere Inhaber der Pößnecker Porzellanfabrik Conta & Böhme. Stellvertreter und Schützenmeister wurde der Uhrmacher Christoph Heinrich Kirchner. Entsprechend den Vorgaben des Stadtrates wurden sofort Statuten mit 29 Artikeln erarbeitet und beschlossen. Auf dem Veitsberg stellte man die Schießstange auf, an der man beim Vogelschießen den hölzernen Vogel befestigte.

Das Gelände ringsherum wurde eingeebnet, zum Übungsschießen eine Schießmauer und ein 

Anzeigehäuschen errichtet. Schon am 24.07.1793 konnte das l. Vogelschießen durchgeführt werden. Die Veranstaltung hatte bereits damals Volksfestcharakter. An zahlreichen kleinen Verkaufsständen konnte man Speisen und Getränke erwerben.

 

Noch im gleichen Jahr wurde das erste Schützenhaus des Vereins gebaut. Dieses Gebäude mit einem kleinen Saal steht heute nicht mehr. Der Ratswirt betrieb darin bei Bedarf einen Bierausschank. Das Haus erwies sich jedoch bald als zu klein. Und so wurde bereits 1799, nachdem ein entsprechendes Feldgrundstück erworben worden war, ein stattliches neues Schützenhaus mit Saal, Keller und Pächterwohnung gebaut.

 

Das Ansehen der Schützengesellschaft stieg ständig. Die führenden Persönlichkeiten der Stadt hatten sich als Mitglieder beworben. Auch an Geld- und Sachspenden fehlte es nicht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts organisierte die Schützengesellschaft mehrere glänzende Festlichkeiten für ihre Mitglieder. Die Zeit der napoleonischen Fremdherrschaft brachte zwar einen Rückschlag, doch etwa ab 1820 belebte sich das Vereinsleben wieder. 1822 beschloss der Verein neue Statuten. Sie brachten einen neuen Geist in die Gesellschaft. 1823 wurde ein spezieller Schützenraum an das Gebäude von 1799 angebaut. Mehrere angrenzende Grundstücke wurden erworben. Eins ging sogar in südlicher Richtung über die heutige Bahnlinie hinaus.

Das älteste Grundstück, das ehemalige Gemeindefeld um den Veitsberg, vermachte die Stadt dem Verein.

Im Vordergrund des Vereinslebens stand immer das Schießen. Beim Übungsschießen war die Scheibe das Ziel. Bei der Ermittlung des Schützenkönigs wurde nach dem Vogel oder dem Stern geschossen. Die Schützen besaßen ihre eigenen Gewehre. Anfangs waren es noch Steinschlossgewehre, etwa seit 1820 Perkussionsgewehre. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzten sich Zündnadelgewehre durch.

Unter der Leitung des Schützenmeisters Christian Friedrich Sänger kam der Verein zu besonderem Ansehen. In den Jahren 1833 und 1834 erhielt das 1799 erbaute Schützenhaus an der Westseite einen großen Anbau mit einem Saal im l. Stockwerk und zahlreichen Wirtschaftsräumen im Erdgeschoß. Dieser Gebäudeteil mit dem sogenannten Casinosaal brannte vor einigen Jahren ab. Ab 1850 stand das Schützenhaus, vor allem der Saal, auch anderen Vereinen zur Verfügung.

Vor allem der Gesangverein machte davon regen Gebrauch. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die Gartenflächen südlich des Schützenhauses in Parkanlagen umgewandelt.

Im Jahre 1871 wurde die Bahnlinie Gera - Eichicht gebaut. Der Anschluß an das Eisenbahnnetz bedeutete zwar für die Pößnecker Wirtschaft einen großen Fortschritt. Für die Schützengesellschaft war dieses Ereignis jedoch zum Nachteil, denn die Bahnlinie führte durch das Gelände des Vereins hindurch und unmittelbar am Veitsberg mit der Schießstange vorbei. Die Schützengesellschaft bekam zwar für das verlorene Grundstück eine Entschädigung, doch die negativen Folgen zeigten sich erst in den nächsten Jahren. Im Zusammenhang mit dem Bahnverkehr forderte die Polizei immer dringlicher, umfassende Sicherheitsvorkehrungen während des Schießens einzuhalten. Die Schießmauer wurde verbreitert. Ein Kugelfang musste angebracht werden.

Beim Schießen nach dem Vogel war eine Wache aufzustellen. Schließlich blieb den Schützen nichts anderes übrig, als dieses ganz einzustellen, denn die Schüsse gingen genau in Richtung Bahnlinie. Der letzte schön bemalte hölzerne Adler war noch lange auf der Schießstange zu sehen. Während das Schießen nun nicht mehr die Rolle wie zuvor spielte, gewann das Schützenhaus mehr und mehr an Bedeutung als Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Theaterveranstaltungen, Bälle, öffentliche Konzerte und wissenschaftliche Vorträge wechselten einander ab. Zahlreiche Vereine, selbst die Turner, die Feuerwehr und der Landwehrverein, nutzten die Räume für ihre Veranstaltungen. Neben der Gastwirtschaft und einem Gartenlokal standen eine Kegelbahn, eine Billardstube und eine Musikhalle im Garten zur Verfügung.

Im Jahre 1890 wurde der Fabrikbesitzer Bernhard Siegel (Flanellfabrik Siegel&Schütze) zum neuen Schützenmeister gewählt. Seit 1893 stand ihm der Fabrikbesitzer Robert Berger (Schokoladen- und Kakaofabrik Robert Berger, jetzt Berggold) tatkräftig zur Seite. Der rege Zuspruch ließ in ihren Köpfen Pläne zur Erbauung eines großen, neuen Schützenhauses reifen. Nachdem die finanzielle Seite geklärt war und auch die Mitgliederbeiträge von 10,- Mark auf 15,- Mark erhöht worden waren, wurde ein Bauplan erarbeitet. Die Kosten für das neue Schützenhaus sollten 146.000,- Mark betragen. Das erste Schützengebäude von 1793 sowie die alte Kegelbahn mussten weichen.

In den Jahren 1897 und 1898 entstand der große, stolze Bau des neuen Schützenhauses. Der Saal ist 12 m hoch und hat eine Grundfläche von 450 m2, dazu kommen die Bühne mit 140 m2 und seitlich der Speisesaal (heute Restaurant) mit 190 m2 Fläche. Derartige Festräume hatte damals in der näheren Umgebung keine Stadt aufzuweisen.

 

Im Jahre 1896 hatte man die Vogelstange abgetragen und das Schießen eingestellt. Der Schützenplatz war ringsherum von Wohnhäusern umgeben. Das Schießen im Freien konnte niemand mehr verantworten. Aber die jährlichen Volksfeste, die unter dem Namen Pößnecker Vogelschießen bekannt waren, blieben erhalten.

 

Dafür versuchte der Schützenverein seine Mitglieder auf andere Weise zu unterhalten. 

Bedeutende Orchester traten im großen Saal auf und Theaterveranstaltungen wurden angeboten.

Im Jahre 1924 wurde in Pößneck eine zweite Schützengesellschaft, die Schützengilde, gegründet. Sie hatte sich in der Nähe des Sandberges einen Schießstand eingerichtet.

 

Der Privileg. Schützengesellschaft drohte nun ein Abtriften der jungen Mitglieder, die am Schießsport interessiert waren. Nach langen Überlegungen entschloss man sich, im Gelände des Schützenplatzes, und zwar an dessen Westseite, einen unterirdischen Schießstand zu errichten.Im Jahre 1926 wurde das Vorhaben in Angriff genommen und ein 80 m langer, unterirdischer Gang gebaut, der hinter dem Schützenhaus begann und fast bis an den Bahndamm reichte. Diese viel bewunderte Schießanlage ermöglichte ein völlig gefahrloses Schießen mit scharfen Waffen. Die Vereinsmitglieder, die sich aktiv an den Schießübungen beteiligten, nannten sich nun Schützenzug. Während die Schützengesellschaft insgesamt ca. 500 Mitglieder zählte, gehörten dem Schützenzug etwa 70 aktive Schützen an. Bei Umzügen marschierten sie als geschlossener Block in Uniform und mit Gewehren.

 

Die Erbauung des neuen Schießstandes war für die Schützengesellschaft zwar eine Existenzfrage, doch sie kostete 43.000,- Reichsmark. Weitere hohe Ausgaben kamen in den folgenden Jahren hinzu. 1928 wurde der älteste Teil des Schützenhauses (heute Restaurant »Olympos«), der kaum mehr genutzt wurde, in ein modernes Tanz-Cafe umgebaut. Es wurde zum Anziehungspunkt für die jungen Menschen. Aber auch die Erhaltung und die Modernisierung des großen Gebäudes kostete viel Geld.

 

Während der Zeit des Nationalsozialismus verschlechterte sich die finanzielle Situation der Schützengesellschaft zusehends. Die Tilgung der Hypotheken bei der Stadtsparkasse war nicht mehr möglich. Ein rapider Abgang von Mitgliedern hatte zur Folge, dass die Einnahmen erheblich geschmälert wurden. Dazu kam eine erhöhte Besteuerung des Grundbesitzes. Damit war die finanzielle Basis der Schützengesellschaft schwer erschüttert. In einer Mitgliederversammlung am 20. Oktober 1938 wurde beschlossen, sich vom Schützenhaus und dem übrigen Grundbesitz zu trennen. Verkaufsverhandlungen mit der Stadt führten zu keinem Ergebnis. Am 05.01.1939 fand eine Zwangsversteigerung des gesamten Schützenhausanwesens mit Inventar statt. Die Pößnecker Stadtsparkasse war als einziger Interessent erschienen. Sie erwarb das Schützenhaus zu einem Preis, der in den Protokollen nicht angegeben ist, wohl weil er so niedrig war.

Der Schützenzug, der weitgehend von der NSDAP unterwandert war, fasste am 08. Februar 1939 den Beschluss, sich von der Privilegierten Schützengesellschaft zu trennen. Weiterhin forderte er die Schützengesellschaft auf, sich aufzulösen. Am 07. Juni 1939 fand eine letzte Generalversammlung im Hotel Zum Ritter statt. Nach der Offenlegung der Finanzen und der Entlastung des Kassierers beschloss die Privilegierte Schützengesellschaft ihre Auflösung. Der Schützenzug existierte noch einige Jahre weiter und führte auch Schießwettkämpfe durch. In den letzten Jahren des 2. Weltkrieges löste er sich wegen fehlender Mitglieder

auf.

Das Gedankengut der Schützengesellschaft blieb aber in der Bevölkerung erhalten.

 

Hans Walter Enkelmann

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